Dinner mit Fremden

Die Suche nach kulinarischer Identität beim "Little Meats LA"

17:33 Uhr 

Mit so wenig Verkehr hatte ich nicht gerechnet, und so war ich eine halbe Stunde zu früh da. Ich gab am Tor den Zugangscode ein, schlenderte am Koiteich vorbei und öffnete die Tür zum Little Meats LA. 

Drinnen waren fünf Leute mit der Vorbereitung des Abendmenüs beschäftigt. Es herrschte konzentrierte Stille. Für einige Augenblicke blieb ich unschlüssig und ein bisschen wie Falschgeld in der Tür stehen.

Die Küche lag im hinteren Teil des Raums, umgeben von U-förmigen angerdneten Tischen, ähnlich einer Sushibar. Hinten an der Wand war ein deckenhohes Regel bis obenhin mit Gewürzen, Kräutern und anderen Zutaten befüllt. Rund um eine große Kücheninsel in der Mitte des U bereiteten die Köche mit akribischer Liebe zum Detail das Festmahl für den Abend zu. 

Als einer von ihnen mich schließlich im Türrahmen bemerkte, fragte er ganz selbstverständlich: "Hey, wie geht's? Komm einfach rein und mach es dir bequem. Es geht bald los."

Es handelte sich um den Gastgeber und Bewohner des Lofts, Robin Chang.

Tagsüber arbeitet Robin als IT-Experte, abends und am Wochenende lädt er fremde Menschen zum kuratierten Menü ein. Sein Experiment nennt er "Little Meats LA".

Robin selbst beschreibt Little Meats LA als eine Art Dinnerparty für Fremde. Ein bewusster Gegenentwurf zur modernen Restaurantkultur, in der Küchenchef und Kunde so gut wie gar nicht in Beziehung zueinander treten. "Wir leben in einem Zeitalter der Technologie und können uns über jedes Restaurant von A bis Z informiert. Es gibt haufenweise Bilder in den sozialen Medien... Aber all diese Informationen und Bilder sagen rein gar nichts über das eigentliche Essen oder die Geschichte dahinter aus."


"Wir wollen die kulinarische Identität von Menschen kennenlernen. Über Essen lässt sich eine persönliche Geschichte schnell und unmittelbar erzählen."

17:50 Uhr 

Während sich immer mehr Leute zum Dinner einfanden, erzählte Robin zum Auftakt des Abends, wie das Little Meats entstanden war.

"Schon in jüngeren Jahren habe ich immer gern Leute eingeladen. In meinem Freundeskreis war klar: Wenn Robin kocht, gehen alle hin. Wir fanden Kochen toll. Erst kamen meine Freunde zum Essen vorbei... Dann irgendwann auch die Freunde meiner Freunde", erzählte er. "Als schließlich sogar die Freundesfreunde von Freunden dazukommen wollten, wurde es richtig interessant. Leute, zu denen man eigentlich gar keine Verbindung hat."

Aktuell ist Little Meats LA ein Format, bei dem zwischen zehn und dreizehn Gäste für ein Gourmet-Erlebnis im kleinen Rahmen zusammenkommen. Man sitzt auf dem Sofa, macht - wie unter Fremden üblich - ein bisschen Smalltalk und geht dann hinüber zum Tisch für einen Abend in bester japanischer Omakase-Tradition.

"Omakase bedeutet, dass der Küchenchef entscheidet, was er serviert", erläutere Robin. "Little Meats bietet Köchen und Küchenkünstlern eine Art Bühne, auf der sie ganz nach Gusto kochen und ihre Geschichte erzählen können. Jeder nähert sich dem Thema anders."

An der Stelle wurde mir klar, dass Robin nicht einfach nur frischen Wind in die Restaurantbranche bringen wollte. Das war vielmehr eine offene Rebellion gegen das zunehmend unpersönliche Verhältnis zwischen Köchen und Bekochten.

"Die Botschaft hinter Omakast ist: 'Ich vertraue darauf, dass du als Koch in den nächsten zwei bis drei Stunden meines Lebens dein ganzes Können für mich aufbieten wirst'", fuhr er fort. Anders gesagt: Statt wählerisch zu sein, schiebt man seine festgefahrenen Vorlieben beiseite und vertraut sich kulinarisch dem Küchenchef an - der in diesem Handwek schließlich ausgesprochen versiert ist. Es ist die Antithese zu einer "Ich entscheide, was auf meinen Teller kommt"-Kultur.

18:20 Uhr 

Nachdem Robin den Abend in Gang gebracht hatte, stellte er uns seinen engen Freund Matt Yuen als den Menüschöpfer des Abends vor.

"Ich bin über Instagram auf Robin gestoßen. Dort habe ich ein paar Posts von Leuten in bester Stimmung beim Abendessen gesehen und wollte dazugehören. Das sah einfach nach richtig viel Spaß aus. Also habe ich Robin eine Nachricht geschickt - der Anfang einer wunderbaren Bromance", grinste Matt. "Wir sind mit ähnlichem Essen groß geworden und haben sehr ähnliche Koch- und Essgewohnheiten. Unsere Eltern sind Einwanderer, wir sind beide Asian Americans erster Generation. Das verbindet uns sicher."

Robin fügte hinu: "Wenn mich jemand mit seinen Kochkünsten wirklich beeindruckt, werde ich gern mal ausfallend. Als Matt das erste Mal für mich gekocht hat, habe ich ihn derb beschimpft."

"Hier bei Little Meats LA wollen wir die kulinarische Identität von Menschen kennenlernen. Über Essen lässt sich eine persönliche Geschichte schnell und unmittelbar erzählen", so Robin weiter.


Leute, die zusammen kommen,
um einen Grill herum,
um zu kochen. Es ist theaterreif.

19:12 Uhr 

Während wir weiter ins Menü einsteigen, verriet Robin, dass er Matt einige Tage zuvor aufgetragen hatte, möglichst viele Elemente seines sechsgängigen Dinners irgendwie mit dem Nexgrill in Verbindung zu bringen. Und der hatte die Aufgabe mit Bravour gelöst! Die Speisenfolge las sich wie folgt:

1. Gang: Knusprige Mochi (Reiskuchen), in Nori-Blätter eingewickelt und angegrillt

2. Gang: Hummer "Aguachile" (gegrillter Hummer)

3. Gang: Congee (Reisbrei) mit gegrillter Auster

4. Gang: Gegrillter Tintenfisch (mit auf dem Grill geräucherte Avocado)

5. Gang: Gegrillte Schweinebäckchen (bin mir ziemlich sicher, dass ich Robin bei dem Gang habe fluchen hören)

6. Gang: Jujube-Kuchen (nicht gegrillt, aber verdammt lecker

19:40 Uhr 

Während wir ungedultig auf jeden neuen Gang warteten, philosophierte Robin übers Grillen.

"Viele haben ja ein fixes Bild davon, was Grillen ist. Oft kommt uns dabei nur irgendeine Form von Fleisch in den Sinn", so Robin. "Versteht man aber erst einmal, wie so ein Grill funktioniert und wie man mit ihm umgeht, kann man ihn für praktisch alles einsetzen."

"Man kann damit Pasteten zubereiten. Man kann alles Mögliche darauf ausprobieren und wird feststellen, dass ein Grill eben nicht nur für Steaks, Burger und Würstchen gut ist. Man kann Gemüse garen oder sogar damit backen", sinniert er weiter. "Mit seiner trockenen Hitze sorgt der Grill für tolle Aromen."

20:23 Uhr

Jeder Gang war bis ins Detail geplant und sorgfältig umgesetzt, was rückblickend wenig überrascht. Robin ist regelrecht detailversessen. Wie viel die Leute essen, wann sie essen, wie viel sie trinken, wie ein Gang zum nächsten überleitet, welche Geschichte hinter jedem Bissen steht - alles wird bewusst geplant, um den Gästen das Essen wirklich nahezubringen. Auch die Musik war auf die Menüfolge abgestimmt. Auf den beiden Fernsehern liefen Filme, die der Koch ausgesucht hatte. Die Struktur der Teller, die Schriftart auf der Menükarte... Alles war mit Bedacht ausgewählt.

Nach dem sechsten Gang gingen wir zurück ins Wohnzimmer. Für alle von uns war eine Veränderung spürbar. Wir fühlten uns jetzt wie eine eingeschworene Truppe.

Das leichte Unbehangen vom Anfang war komplett verflogen. Wir kannten einander überhaupt nicht, aber das gemeinsame Erlebnis, die Speisenwahl des Kochs und die Geschichten hinter unserem Essen verbanden uns. 

Als wir uns schließlich einer nach dem anderen verabschiedeten, hätte der Unterschied zu meiner Ankunft in der Stills nicht größer sein können. Die Musik spielte noch immer und die Filmabspänne liefen durch. Ich ging am Koiteich vorbei. Durch das Tor. Noch immer kein Verkehr weit und breit.

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